Die Objekte der US-amerikanischen Künstlerin Tracey Snelling (*1970), urbane Plastiken und multisensorische Installationen von barock anmutender Opulenz, könnte man auch als Porträts von Gebäuden bezeichnen. Sie imitieren modellhaft soziologisch und kulturell geprägte Architektur, wuchern nach allen Seiten oder streben wie archaische Wolkenkratzer, deren Fenster, Türen und Vorsprünge eine Unzahl von Lichtquellen und Miniaturmonitore beherbergen, nach oben. Dabei erzeugen sie ein visuelles und akustisches Feuerwerk das gleichsam die Kopie eines städtischen Bild- und Klangteppichs ist.

Trotz ihrer Größe von bis zu 5 Metern Höhe (One Thousand Shacks) muten sie aufgrund ihrer komplexen Struktur und Haptik wie Miniaturen an und erzeugen dadurch eine subtile Wirkung die den Betrachter glauben lässt, er wäre Gulliver im Lande Liliput.

Dieser Effekt, sowie die multimediale und gleichsam sozialkritische Struktur von Snellings Arbeiten, implizieren auch Vergleiche mit der jüngeren Filmgeschichte. So erinnert ihre kluge und ironische „Modellrealität“ z.B. an die gesellschaftspolitische Kernaussage von „Downsizing“, einer Satire aus dem Jahre 2017, in der Regisseur Alexander Payne jene Menschen um ein Vielfaches schrumpfen lässt, die sich daraus wirtschaftliche Vorteile und damit ein allgemein gerechteres Leben erhoffen. Schnell entstehen in dieser Mikrowelt aber wieder die wohlbekannten Standesunterschiede und -kämpfe und ein Großteil der

Neuliliputaner muss in überv.lkerte soziale Brennpunkte am Stadtrand ziehen, die wiederum an die Werkgruppe der Livesize Rooms der Künstlerin erinnern.

Diese lebensgroßen, wie Bühnenbilder anmutenden Installationen, erlauben dem Betrachter einen voyeuristischen Blick in hyperrealistisch gestaltete Räume, die in ihrer Individualität stereotype Vermutungen über ihre abwesenden Bewohnerinnen und Bewohner befeuern, die scheinbar gerade nur kurz zum Einkaufen oder nach nebenan gegangen sind. Hin und wieder kehren ebendiese Bewohner jedoch zurück um in einer Performance von tiefen Abgründen, von Einsamkeit und Angst aber auch von unbändiger

Freude, ungezügelter Leidenschaft und bedingungsloser Liebe zu erzählen.

 

Die in Berlin lebende Tracey Snelling fiel gerade in den letzten 3 Jahren durch eine Fülle an weltweiten Ausstellungsprojekten auf, u.a. im Tokyo Arts and Space, in der Kunsthalle Rotterdam, der Bienalsur Biennale, Buenos Aires, der Boston City Hall, dem Haus am Lützowplatz, Berlin und dem Literaturhaus, München.